»Ihr Pech, daß sie kein Gorilla sein konnte« (2024)

Bei einem illegalen Besuch im kongolesischen Rumangabo wurde Dian 1967 festgenommen. Es war während der sogenannten Kongo-Wirren, als schwarze Rebellenbanden und weiße Söldnerhorden mordend und marodierend das Land durchstreiften. Aus Dian Fosseys sonst sehr penibel geführten Tagebüchern geht nicht so genau hervor, was sie in der Haft erlebte, ob sie gefoltert oder vergewaltigt wurde. Aber ihr ehemaliger Liebhaber, der Tierphotograph Bob Campbell aus Nairobi, meint, es müsse ein Erlebnis gewesen sein, das ihr Menschenbild veränderte.

Von jenen Tagen im Juli 1967 an hat Dian Fossey die Eingeborenen gehaßt, ganz besonders die Batwa-Pygmäen, die in dem Gebiet um die Virungas leben. Am liebsten, so sagt Kelly Stewart, die Tochter des Hollywood-Schauspielers James Stewart, die Dian vier Jahre lang assistierte, habe sie die Batwa als »zitternde, quäkende Angstpakete (gehabt), die sich in Lumpen und mit umschäumtem Mund vor ihr am Boden wälzten«. Die Batwa leben seit Jahrhunderten von der Jagd. Sie haben nie verstanden, warum im unabhängigen Ruanda die Jagd verboten ist, während sie in der ehemaligen Kolonie Ruanda Urundi erlaubt war.

Die Ruander akzeptieren das Jagdverbot nur aus Gründen der Staatsräson. Tierschutz gilt in Afrika allgemein als typischer Mzungu-Spleen. Die großen Tierparks sind alle noch von den Kolonialisten gegründet worden. Sie haben die Unabhängigkeit nur überlebt, weil sie Devisen bringen.

Daß undomestizierte Tiere über den Rahmen ihres Nährwertes und neuerdings noch ihres Wertes als Touristenattraktion hinaus einen Nutzen haben sollen, ist für die meisten Afrikaner eine ziemlich schrullige Vorstellung. Im Kisuaheli, der Lingua franca Ostafrikas, gibt es nur eine gemeinsame Vokabel für Fleisch und Tier: nyamu.

Obwohl der ruandische Teil des Parc des Volcans ausreichen würde, um Nahrungsmittel für ein paar hunderttausend Ruander anzubauen, fand sich die Regierung in Kigali mit der Existenz des Reservats ab. Unter einer Bedingung: Es sollte wenigstens für den Tourismus genutzt werden.

Aber Dian wollte das nicht. Ihr Privatparadies eine Zirkusmanege für eine große Affenshow? Nur über ihre Leiche. Sie drohte, das Camp niederzubrennen, wenn die staatliche Fremdenverkehrsbehörde versuchen sollte, es zu übernehmen. Wer sich unautorisiert ihrem Camp nähere, der solle sich vor ihrer Automatic in acht nehmen. Das war wörtlich gemeint. Eine nicht angemeldete Gruppe von niederländischen Reisenden mußte im Kugelhagel den Rückzug antreten. Einem ihr unsympathischen Besucher aus Großbritannien ließ sie zum Lunch einen Suppenteller mit Affenkot auftischen.

Unter den Touristen standen in Dians Wertvorstellung nur noch die Batwa. Die krummbeinigen, grauhäutigen Liliputaner aus dem Umfeld um Karisoke waren für sie der allerletzte Dreck.

Die Batwa waren die Hauptverantwortlichen für die Dezimierung der Gorilla-Populationen, die die belgische Kolonialverwaltung unter Naturschutz gestellt hatte. Ein original King Kong ohne Schußlöcher im Pelz und mit intaktem Skelett brachte Anfang der siebziger Jahre zwischen einer Viertelmillion und einer halben Million US-Dollar.

Die Wilderer bekamen davon ein oder zwei Promille. Das war immer noch eine enorme Summe in einem Land mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von kaum hundert Dollar. Die Folge: Von den rund 600 Gorillas, die 1960 im Park gezählt wurden, lebte zwölf Jahre später nur noch knapp die Hälfte.

Dian Fossey hat den unheilvollen Trend gebrochen. Sie hat mit ihren frenetischen Kampagnen, mit ihren schrillen Appellen an das Weltgewissen, mit ihren Artikeln und Vortragsreisen das öffentliche Bewußtsein lockergeklopft, das die Gorillas zum Überleben brauchten.

Spätestens seit Anfang der achtziger Jahre ist die Spezies der Gorilla gorilla beringei nicht mehr vom Aussterben bedroht. Die Bestände sind seitdem um über 50 Prozent gestiegen. An den Osthängen der Virungas leben heute wieder mindestens 20 Familien mit ungefähr je einem Dutzend Tieren.

Die Batwa haben die Gorilla-Jagd aufgegeben, wenn auch eher aus Einsicht in ökonomische denn in ökologische Zwänge. Gorilla-Trophäen sind so gut wie wertlos, einfach weil sie nicht mehr zu verkaufen sind. Die Batwa wildern heute nur noch Antilopen und Kleingetier für die eigenen Fleischtöpfe.

Nur, Dian Fossey wollte die Wende nie wahrhaben. Sie brauchte die fortwährende Bedrohung für ihr Selbstverständnis als Fels im Kampf gegen das Böse. Bill Weber, einem ihrer Mitarbeiter, drohte sie mit Rausschmiß, weil er versuchte, sie davon zu überzeugen, daß die Bestände nicht mehr gefährdet seien. Weber: »Sie wollte die Gorillas partout sterben sehen.«

Dian ließ weiterhin jeden Morgen ihre Wildhüter ausrücken, deren Gehälter sie aus dem von ihr gegründeten Gorilla-Hilfsfonds bezahlte. Meistens brachten die Askaris nur Fallen und Schlingen mit heim. Manchmal aber auch Wilderer.

Die Chefin hielt stets persönlich Gericht. Ihre Verhörmethoden hatten professionellen Schliff. Sie spuckte ihren Gefangenen ins Gesicht. Sie fesselte sie und stopfte ihnen Schlafmittel in den Rachen. Sie setzte sich furchterregende Masken auf und peitschte ihre Opfer aus. Einmal entführte sie ein Pygmäenkind, um den Vater zu disziplinieren. Auch die Urin-Injektionen hat sie nie bestritten.

Am schlimmsten soll Hatageka gelitten haben, Dians Erzfeind, der ihren Fängern ins Netz ging, als er dabei war, einen kleinen Buschbock zu enthäuten. Bei der Leibesvisitation fand Dian seine Sumu, einen Fetisch, den sich Afrikaner in die Kleider nähen, um sich gegen böse Geister zu schützen. Sie nahm ihm den Talisman weg und übergab ihn der Polizei. Hatageka war halb besinnungslos vor Angst. »Man konnte förmlich sehen, wie die Luft aus ihm herausging«, notierte Dian strahlend in ihr Tagebuch.

Es gibt gute Gründe für die Vermutung, daß Dian Fosseys Erinnyen-Allüren stark kontraproduktiv waren. Die vier letzten Gorillas, die vor zehn Jahren im »Parc des Volcans« von Wilderern getötet wurden, stammten alle aus der »study group«, einer Gorillafamilie, die Dian besonders ans Herz gewachsen war: Digit, Macho, Kweli, Onkel Bert.

Die Leute in Kinigi sagen, die Tötung der Gorillas sei die Strafe für die Grausamkeiten gewesen, die die Nyiramacibili den Batwa-Jägern angetan habe. Sie selbst sei nur das letzte Opfer in einer aufsteigenden Reihe von Racheakten gewesen. Sie waren sich darin im wesentlichen einig mit US-Botschafter Frank Crigler. Er schrieb anläßlich des Todes von Digit in einem Brief an Dian, man müsse annehmen, »daß es sich um eine gezielte Vendetta handelt«.

Digit, ein majestätischer Prachtkerl von fast zwei Meter Größe, war das erste Opfer. Sein Porträt zierte die Plakate, die weltweit in den Reisebüros für den Besuch des Parc des Volcans warben: »Come and see me in Rwanda.« Die Schlächter hatten ihm Kopf und Hände abgehackt und den verstümmelten Kadaver liegengelassen.

Dian war von Zorn und Trauer überwältigt. Sie scheuchte alle verfügbaren Kräfte in den Wald mit der Auflage, nicht ohne einen Schuldigen zurückzukommen. Und sie war nur mit Mühe davon abzubringen, das ganze Dorf in Brand zu setzen, in dem sie - freilich ohne jedes Indiz - die Täter vermutete.

Die Askaris brachten tatsächlich einen Verdächtigen heim ins Camp. Dian ließ ihn in ihrem Schlafzimmer an einen Deckenbalken binden und begann, ihn unter Zuhilfenahme von reichlich Whisky »sehr, sehr sorgfältig zu verhören«, wie sie später schrieb. Als der Morgen graute, hatte der Gefangene alles gestanden, was Dian hören wollte.

Die Behörden in Kigali und Ruhengeri ließen sie gewähren, obwohl sie von Dian ständig und gröbstens beschimpft wurden, weil sie den Askaris das Recht vorenthielten, ertappte Wilderer auf der Stelle zu erschießen. Mehrere der weißen Mitarbeiter dagegen stiegen nacheinander aus dem Forschungsprojekt aus und reisten ab, weil sie Dians Brachialpädagogik nicht mehr aushielten.

Digits Tod warf Dian vollkommen aus der Bahn. Sie soff und rauchte noch mehr als vorher. Sie litt unter Schlaflosigkeit, unter Höhenkrankheit, vor allem unter der Zwangsvorstellung, von aller Welt betrogen zu werden. Manchmal kam sie tagelang nicht aus ihrer Hütte.

Weil sie den Berg aus eigener Kraft nicht mehr hinaufsteigen konnte, ließ sie sich auf einer Trage schleppen. Der Direktor der ruandischen Nationalpark-Verwaltung zwang sie, sich alle vier Wochen auf den Weg nach Kigali zu machen, um ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängert zu bekommen. »Er will mich vor meiner Zeit ins Grab bringen«, schrieb Dian, »aber er schafft mich nicht.«

Alle hofften darauf, daß das Problem Dian Fossey bald eine gnädige und biologische Lösung finden würde, wie ihr ehemaliger Mitarbeiter Craig Sholley, heute Direktor des Forschungsprojekts in Kinigi, formuliert. Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Wayne McGuire, der ihre Leiche fand, sagte später, er habe noch nie ein Gesicht so voller Horror gesehen.

Dian Fossey wurde Silvester 1985 auf dem kleinen Gorilla-Friedhof in Karisoke gleich neben ihrem Freund Digit begraben. Craig Sholley sprach zwei Jahre danach einen späten Nachruf: »Sie war aus der Welt der Menschen ausgestiegen, und es war ihr Pech, daß sie nicht selbst Gorilla sein konnte.« #

»Ihr Pech, daß sie kein Gorilla sein konnte« (2024)
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